Kairo. So nah war ein Bürgerkrieg in Ägypten noch nie. Bürgerkrieg – das ist ein Wort, welches man jedenfalls mit Vorsicht gebrauchen sollte. Dieser Tage schwebt einem da ja gleich ein syrisches Szenario vor. Dabei ist klar: Ägypten ist nicht Syrien. Während sich der Konflikt in Syrien stark entlang ethno-politischer Linien abspielt und von eher dezentralem Charakter ist, sind es in Ägypten Ideologien, die vor allem in den Zentren des Landes aufeinander prallen. Nach dem Militärputsch gegen den amtierenden Präsidenten Mohammed Mursi vor knapp einem Monat könnte die Bevölkerung gespaltener kaum sein: Auf der einen Seite stehen da die Islamisten, welche sich um ihre demokratisch legitimierte Macht betrogen fühlen und nicht müde werden diesen Umstand zu betonen und auf der anderen Seite findet man ein interessantes Gemisch an Akteuren, welches wie bereits während der Revolution vor zweieinhalb Jahren eine sehr heterogene Gruppe ist. Was sie eint ist der Frust über eine islamistische Regierung, die es verabsäumt hat in einen nationalen Dialog einzutreten. Der klare Vorwurf gegen den nun eingesperrten Präsidenten Mursi und seine Partei für Freiheit und Gerechtigkeit lautet, dass die Islamisten viele der Muster des alten Mubarak-Regimes übernommen haben. Korruption hat unter den Muslimbrüdern jedenfalls nicht abgenommen, die Menschenrechtslage hat sich kaum verändert und das subjektive Sicherheitsgefühl in den Straßen von Kairo ist massiv gesunken. Die ägyptische Wirtschaft steht am Rande des Kollaps und die Zahl der Waffen, welche seit Beginn der NATO-Intervention in Libyen ins Land gesickert sind lässt sich an Hand der täglichen Maschinengewehrschüsse in den Vororten der Stadt nur erahnen.
Ägypten ist tief gespalten. Eine charismatische Integrationsfigur, welche das Land aus der Krise führen könnte ist nicht in Sicht. Auf diplomatischer Ebene waren zwei Besuche der Hohen Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik Catherine Ashton in den vergangenen Tagen schon das höchste der Gefühle. Die ägyptische Politik versagt und die internationale Diplomatie ist wie so oft ratlos, wie man sich in der Angelegenheit verhalten soll. Ägypten ist ein zu wichtiges Land um es in die politische Ungewissheit abgleiten zu lassen. Diese Einsicht scheint die Vereinigten Staaten dazu zu bewegen auch weiterhin Hilfszahlungen in Milliardenhöhe an das ägyptische Militär zu leisten.
Seitdem ägyptische Soldaten vor einigen Tagen bei einer friedlichen Kundgebung von Islamisten das Feuer eröffnet und zahlreiche Demonstranten getötet haben, ringt auch die Militärführung rund um Genearloberst Abd al-Fattah as-Sisi um die traditionell breite Unterstützung der Bevölkerung. Während die einen ihn bereits als einen neuen Nasser verehren, schwören die anderen Blutrache an ihm zu nehmen. Es scheint als ob die Militärführung die Dynamiken des arabischen Frühlings noch immer nicht verstanden hat: Die Anwendung von direkter Gewalt gegen die eigene Bevölkerung geht fast immer mit einem massiven Machtverlust einher. Solange die ägyptischen Generäle diese Einsicht nicht erlangen und immer weiter schwere Geschütze gegen einen politisch äußerst mächtigen Teil der eigenen Bevölkerung auffahren müssen wir für Ägypten das Schlimmste erwarten.