KAIRO. Die Stimmung in der aegyptischen Hauptstadt ist spuerbar angespannt. Strategisch wichtige Orte, wie Regierungseinrichtungen, Rundfunkgebaeude, Bruecken und Hauptverkehrsverbindungen, werden vom aegyptischen Militaer kontrolliert und wenn noetig weitraeumig abgeriegelt. In der Nacht herrscht Ausgangssperre: Unter der Woche von 21:00 bis 06:00 Uhr, an Freitagen sogar bereits ab 19:00 Uhr. Naehert man sich zu fortgeschrittener Stunde einem Checkpoint oder einer Militaerstreife, kann es durchaus passieren, dass man den Rest der Nacht mit auf den Ruecken gebundenen Haenden am Boden kniend oder in einer aegyptischen Gefaengniszelle verbringt. Im Gegensatz zur Polizei unterscheidet das Militaer dabei kaum zwischen sozialer oder nationaler Herkunft. Diese Erfahrung musste in den vergangenen Tagen so manch prominenter Aegypter machen, der sich, ganz wie in alten Tagen, ueber die Regeln und Gesetze fuer die normalsterblichen BuergerInnen hinwegsetzte und glaubte die Ausgangssperre getrost missachten zu koennen. Zu Mubaraks Zeiten galt die Gewissheit, dass ein paar Pfund Schmiergeld im schlimmsten Fall schon alles richten wuerden. Die Militaerfuehrung scheint von solchen Sitten derzeit wenig beeindruckt zu sein. Man ist sichtlich bemueht Staerke zu demonstrieren und dabei keine Ausnahmen zu machen.

Der gestuerzte Praesident Mohammed Morsi bleibt fuer viele Islamisten weiterhin das einzig legitime Staatsoberhaupt.
Von Seiten der GegnerInnen der Muslimbruderschaft erlangt das Militaer grosse Unterstuetzung: In vielen Schaufenstern der Stadt prangt das Foto des neuen Nationalhelden Abd al Fattah as-Sisi, seines Zeichens Oberbefehlshaber der aegyptischen Streitkraefte. Demokratie und Menschenrechte hin oder her, fuer sie hat Sissi eine harte aber notwendige Entscheidungen getroffen um Aegypten in letzter Sekunde vor einem totalen Abdriften in ein islamistisches System zu bewahren, welches in ihren Augen mit den eigentlichen Anliegen der Revolution kaum noch etwas zu tun hatte. Ganz anders sehen das freilich die AnhaengerInnen des gestuerzten Praesidenten Mohammed Mursi. Ihre Wut ist mittlerweile gross. Ueberall im Land kommt es immer wieder zu spontanen Gewaltausbruechen und Demonstrationen. Ich bin gerade auf dem Heimweg, als ich mich gestern unerwartet in der Mitte von islamistischen DemonstrantInnen wieder finde: “Rabaa, Rabaa!”, “Mursi ist unser Praesident!” und “Nieder mit Sissi!”, sind die eindeutigen Slogans der wutentbrannten Menge, welche sich beachtlicher Weise zu gut einem Drittel aus Frauen zusammensetzt. Das Anliegen dieser DemonstrantInnen ist klar: Einerseits geht es ihnen als AnhaengerInnen der Musimbruderschaft um die Rueckeroberung von Raeumen in politischen Institutionen Aegyptens, aus welchen sie in den vergangenen Wochen durch den Einsatz teilweise massiver Gewalt verdraengt wurden. Dabei steht die gerade erst gewonnene Legalitaet der 1928 gegruendeten Bewegung auf dem Spiel. Andererseits ist die Empoerung darueber, dass das Massaker von Rabaa al-Adawaya keine legalen und politischen Konsequenzen nach sich zieht, sondern ganz im Gegenteil von Teilen der Bevoelkerung als Erfolg gefeiert wird, riesengross. Immerhin kamen dabei vor zwei Wochen rund 1000 Menschen ums Leben.
Als die DemonstrantInnen keine Anstalten machen die Strasse fuer den Verkehr zu raeumen fordert ein veraergerter Mann, der neben mir im Sammeltaxi sitzt, den Fahrer auf doch einfach durch die Menge durch zu fahren, woraufhin dieser lachend antwortet, dass ein paar Islamisten weniger wahrlich kein Verlust fuer das Land waeren und dass Generaloberst as-Sissi schon die richitge Behandlung fuer solche Unruhestifter finden wuerde.
Das harte Vorgehen der Militaerfuehrung gegen die Muslimbruderschaft stoesst in einem beachtlich grossen Teil der Bevoelerkerung auf freudige Zustimmung. Der Ruf nach einem starken Fuehrer ist in den vergangenen Monaten immer lauter geworden. Mit der Person as-Sissi verbinden viele AegypterInnen einen neuen Optimismus, welcher in einem starken Nationalismus wurzelt, welcher sich durch seinen extrem exklusiven Charakter auszeichnet. Ganz nach dem Motto: “Fuer Islamisten gibt es in dieser Nation keinen Platz!”, koennte dies schon heute Anlass fuer eine neue Runde der Gewalt sein. Dadurch koennte das Land noch weiter gespalten werden. Das Potential dafuer ist nach dem Freitagsgebet jedenfalls besonders gross.