Adham Hamed

Streifzüge durch den Nahen Osten und das Horn von Afrika – Wanderings across the Middle East and the Horn of Africa

Droht eine ORF-Informationswüste in Nahost?
(c) Adham Hamed

Überlegungen zur Umstrukturierung der ORF-Regionalberichterstattung und ein Plädoyer. 

Der ORF will den Vertrag mit seinem langjährigen Korrespondenten Karim El-Gawhary offenbar nicht über den 30. Juni 2026 hinaus verlängern, wie mehrere österreichische Medien übereinstimmend berichten (Kronen Zeitung, Der StandardTiroler Tageszeitung). Mehr noch wird kolportiert, dass das von ihm geleitete ORF-Büro in Kairo aufgelöst werden und die Nahost-Berichterstattung ausschließlich von einem Regionalbüro in Tel Aviv aus stattfinden solle. Vollzieht der ORF diesen Schritt tatsächlich, droht im öffentlich-rechtlichen Rundfunk ein erhebliches und strukturell wohl kaum zu kompensierendes Defizit in der Nahost-Berichterstattung. 

Korrespondent:innen wie David Kriegleder leisten in Israel hervorragende Arbeit. Ihnen sind jedoch durch die politischen Rahmenbedingungen strukturelle Grenzen auferlegt. In einem der gesellschaftlich polarisierendsten Konflikte unserer Zeit, in der Pressefreiheit immer stärker in Bedrängnis gerät, ist es entscheidend Korrespondent:innen mit direktem Zugang zu beiden Seiten zu haben. Wäre es nach dem Sturz von Bashar al-Assad denkbar gewesen, von Tel Aviv aus unmittelbar nach Damaskus zu reisen? Auf direktem Weg unmöglich und auch über Umwege ohne unverhältnismäßige Gefährdung des eigenen Lebens wohl kaum. Bilder wie aus dem berüchtigten Foltergefängnis Sednaya, nur wenige Tage nachdem dessen Tore von Assads Schergen geöffnet wurden, wären nicht in Österreichs Wohnzimmer gelandet. Und die arabischen Protestbewegungen von 2011 – für die Berichterstattung darüber wurde er unter anderem mit dem Concordia-Preis ausgezeichnet – wären auf Basis von trockenen Agentur-Meldungen wohl kaum verständlich geworden, hätte El-Gawhary nicht seine Arbeit aus einer spezifischen Position aus machen können. Es sind aber auch die vermeintlich kleinen Geschichten, durch die Karim El-Gawhary über Jahrzehnte die Lebensrealitäten von Menschen in unserer unmittelbaren Nachbarschaft in Österreichs Wohnzimmer gebracht hat, von einfachen Familien in Kairo, von Student:innen in Bagdad. Sie werden fehlen, wenn der ORF einen derart radikalen Schritt tatsächlich vollzieht. 

Wenn El-Gawhary zuletzt in die Kritik kam, weil er über Israel als Besetzer und über Palästinenser:innen als Besetzte sprach, so spricht er eine Realität aus und bedient sich eines Vokabulars, welches etwa auch vom österreichischen UN Hochkommissar für Menschenrechte Volker Türk verwendet wird. Die Terminologie „Israel und die besetzten Gebiete“, für die er nunmehr kritisiert wird, ist zudem die langjährige Diktion der österreichischen Bundesregierung – wie im Übrigen auch der deutschen und der EU. Sie benennt, was seit dem Krieg von 1967 Realität ist und was durch den israelischen Siedlungsbau fortgeführt wird. Die besetzten Gebiete sind besetzt, weil sie durch ein handelndes Völkerrechtssubjekt, nämlich Israel, besetzt werden. Hierüber herrscht – auch unter vielen Israel gegenüber freundlich gestimmten Staaten – breiter Konsens. 

Insofern könnte man auch argumentieren, dass die Nichtverwendung eben dieser Terminologie durch andere ORF-Mitarbeiter:innen ebenso bereits eine politische Entscheidung ist, wie fast jede andere Verwendung von Terminologie im Nahostkonflikt auch. Das in Frage stellen sollte man im Sinne der Pressefreiheit aber keinesfalls. Weder El-Gawhary noch Medien, für welche er arbeitet, sind – Stand 18. Dezember 2025 – für seine Berichterstattung gerügt worden, weder vom österreichischen noch vom deutschen Presserat. Man kann nun mit El-Gawhary persönlich übereinstimmen oder ihn kritisieren – beides muss erlaubt sein. Was allerdings demokratiepolitisch bedenklich ist, sind Rufe ihn weg haben zu wollen, nur weil seine Berichterstattung nicht genehm ist, wie das im Zuge von El-Gawharys Gaza-Berichterstattung vereinzelte aber laute Stimmen der Fall wurde. Sie befindet sich zweifelsfrei im Spektrum vertretbarer Positionen in der Debatte über Nahost und die laut gewordene Kritik mit einem tatsächlichen Kodex-Verstoß gleichzusetzen wäre fatal. Die Nichtverlängerung des Vertrages mit ihm  bedarf schon wegen dieser, die journalistische Freiheit bedrängenden, Nebengeräusche einer sehr präzisen und glaubwürdigen Erklärung, sonst droht ein erheblicher Glaubwürdigkeitsverlust. 

Die österreichische Öffentlichkeit hat ein berechtigtes Interesse an einem möglichst dichten Netzwerk an Auslandskorrespondent:innen, mit entsprechenden Zugängen zu den Menschen in ihren Regionen. Unabhängig von der Frage einer kolportierten Nicht-Verlängerung von Karim El-Gawhary würde der Zeitgeist eher die Notwendigkeit aufzeigen ein zusätzliches Büro für die palästinensischen Gebiete zu schaffen – etwa in Ramallah – und das Regionalbüro in Kairo nachhaltig zu stärken. Der Nahe Osten und Nordafrika sind eine derart große und zugleich wichtige Region, dass man in Wahrheit gut daran tun würde mehrere Korrespondent:innen für den arabischen Raum zu haben, neben einem weiter möglichst gut aufgestellten Büro in Israel. Der Charme – und der informative Mehrwert – einer Zeit im Bild Sendung, die zugleich nach Tel Aviv und Kairo, Kiew und Moskau, Brüssel und Washington schaltet, liegt in der Heterogenität von Stimmungsbildern, welche möglichst nah an den Menschen und aus dem Kontext ihrer politischen Realitäten heraus eingefangen werden. Wenn dieser Pluralismus im Nahen Osten verschwindet, so wäre das ein erheblicher Qualitätsverlust für die verschiedenen Informations- und Nachrichtenformate des ORF wie auch für die Meinungsbildungsprozesse in österreichischen Wohnzimmern. 

Adham Hamed forscht und lehrt am Austrian Centre for Peace und an der Universität Wien. Zuvor war er als deutscher Diplomat für den Schutz von Journalist:innen in Krisen und Konflikten zuständig. Kontakt: hamed@ac4p.at

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