Adham Hamed

Streifzüge durch den Nahen Osten und das Horn von Afrika – Wanderings across the Middle East and the Horn of Africa

Weltordnung aus den Fugen 

Wie Israels Angriff auf den Iran und Washingtons Kriegseintritt das Völkerrecht aushebeln. Kommentar in der Tiroler Tageszeitung vom 24. Juni 2025.

Das internationale Staatensystem basiert auf einem Regelwerk, das sich die Welt nach dem zweiten Weltkrieg auferlegt hat. Es ist auf der Einsicht gebaut, dass das Recht des Stärkeren langfristig zu gewaltvollen Konflikten, Kriegen und Leid führt. Durch den israelischen Angriff auf Iran und den US-amerikanischen Kriegseintritt, wird diese regelbasierte internationale Ordnung im Nahen Osten einmal mehr unterlaufen. Andere Staaten registrieren, dass im Zweifel militärische Überlegenheit und nukleare Abschreckung zählen.

Der Vorwurf westlicher Doppelstandards kann dabei kaum noch zurückgewiesen werden. Während es – ungeachtet moralischer und politischer Bewertungen des brutalen Regimes in Teheran – breiten Konsens über die Völkerrechtswidrigkeit des israelischen Angriffs und nunmehr des Kriegseintritts der USA gibt, üben sich westliche Spitzenpolitiker in Stille oder gießen gar rhetorisch Öl ins Feuer. Der deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz sagte vergangene Woche: „Das ist die Drecksarbeit, die Israel macht für uns alle.“ Außenministerin Meinl-Reisinger stellte zunächst die Eindeutigkeit der Völkerrechtswidrigkeit des israelischen Agierens in Frage. 

Politischen Argumenten vor dem Völkerrecht Vorrang zu geben hat fatale Folgen, denn immer weniger Staaten glauben an das Friedensversprechen einer regelbasierten Ordnung. Zu häufig werden deren Standards mit zweierlei Maß gemessen. Ähnlich wie bei der US-Invasion des Irak 2003 rückt das Völkerrecht in den Hintergrund. Man bemüht stattdessen politische Argumente zur Rechtfertigung des israelischen Angriffs.

So wird Europa für Staaten der Region langfristig nicht mehr als verlässliche Partner wahrgenommen werden. In einer zunehmend multipolaren Welt wenden sie sich verstärkt schutzsuchend Richtung Peking und Moskau. Die regelbasierte internationale Ordnung war gestern. Ein neues Wettrüsten, in dem Europa seine politische Rolle nicht findet, hat längst begonnen. 

Dieser Text erschien in der Printausgabe der Tiroler Tageszeitung vom 24. Juni 2025.

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