Acht Thesen zur israelischen Kriegserklärung gegenüber Iran.

Mit dem israelischen Angriff auf den Iran sehen sich der Nahe Osten und die Welt mit einem weiteren konventionellen Krieg zwischen zwei Staaten konfrontiert, dessen Auswirkungen auf die politische Gesamtkonstellation im Nahen Osten und auf die Weltwirtschaft noch nicht absehbar sind. Der Präventivschlag, wie nachvollziehbar er politisch und moralisch auch begründet werden mag, untergräbt das Vertrauen in die multilaterale Ordnung, verschärft humanitäres Leid und zementiert politische Gräben. Warum aber findet dieser Krieg gerade jetzt statt? Ein Versuch der Einordnung durch acht Thesen:
- Israel will seine regionale nukleare Vormachtstellung bewahren und handelt aus existenziellen Sorgen: Die potenzielle Bedrohung Israels – als seit den 1960er-Jahren de facto einzige Nuklearmacht im Nahen Osten – sieht die Atomanreicherung des Iran, gepaart mit dessen teils sehr aggressiven Rhetorik als existenzgefährdend. Die eigene nukleare Vormachtstellung will man um jeden Preis aufrechterhalten. Die israelische Sorge ist nicht neu. Sie besteht bereits seit der Verkündung des damaligen – gegenüber Israel besonders aggressiv auftretenden – Präsidenten Mahmoud Ahmadinejad im April 2006, wonach es iranischen Ingenieuren gelungen sei, erfolgreich Uran anzureichern. Damit entschied sich Teheran vor fast zwanzig Jahren für einen Weg, sein auf das Jahr 1959 zurückgehendes ziviles Nuklearprogramm auch für potenziell militärische Zwecke auszuweiten – für Israel eine nicht akzeptable Perspektive.
- Irans Vertrauen in Multilateralismus ist stark geschwächt. Das hat das iranische Streben nach der Atombombe beschleunigt: Auf Ahmadinejads Ankündigung aus dem Jahr 2006 folgten internationale Versuche der Begrenzung des iranischen Nuklearprogramms. Unter beachtlicher diplomatischer Anstrengung der fünf ständigen Vertreter des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen und der Europäischen Union, gelang es schließlich im Juli 2015 dieses im Rahmen des Joint Comprehensive Plan of Action auf das Ziel der Nutzung für zivile Zwecke einzugrenzen. Das Abkommen war eine der letzten großen Errungenschaften der alten, regelbasierten internationalen Ordnung. Im Mai 2018, während seiner ersten Amtszeit, wurde es von US-Präsident Trump unilateral aufgekündigt. Dieser Schritt wiederum hat zu einem erheblichen Vertrauensverlust des iranischen Regimes in die multilaterale internationale Ordnung geführt und wurde zum Beschleunigungsfaktor des iranischen Atomprogrammes. Das Ziel der nuklearen Anreicherung auch für militärische Zwecke schien für Teheran im Zweifel abermals die bessere Rückversicherung als multilaterale Abkommen mit wenig belastbaren Garantien. Dies gilt besonders vor dem Eindruck einer zunehmend multipolaren Welt, in der die früheren Supermächte regelmäßig aus der regelbasierten internationalen Ordnung ausscheren und diese wiederholt in Frage stellen.
- Israel sieht moralische Legitimation durch VN-Bericht – und bemüht sich Völkerrechtsbedenken zu überdecken: In einem Bericht des Board of Governors der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) der Vereinten Nationen vom 12. Juni 2025, wird dem Iran vorgeworfen, nicht vollumfänglich mit der IAEO zu kooperieren und seit 2019 gegen Auflagen aus den IAEO Safeguards Agreements zu verstoßen. In dem Papier wird das iranische Bestreben der Urananreicherung besonders deutlich. Von diesen handfesten Vorwürfen gegenüber Iran, erhofft sich Israel international eine moralische Legitimation für die Entscheidung zum Krieg. Gleichwohl ist der Angriff auf den Iran völkerrechtlich in dieser Form nicht gedeckt, auch wenn sich Israel auf sein Selbstverteidigungsrecht beruft. Präventivschläge sind völkerrechtlich in wenigen Fällen vertretbar, in denen ein unmittelbarer Angriff bevorsteht. In der konkreten Situation, in der sich Iran dem für eine Atombombe notwendigen Anreicherungsgrad an Uran zwar in besorgniserregender Art und Weise angenähert hatte, von dieser aber dennoch deutlich entfernt war, ist dieses Szenario nicht konkret genug gegeben. Der Innsbrucker Politikwissenschaftler Gerhard Mangott hebt in diesem Zusammenhang hervor, dass eine iranische Erlangung von Atomwaffen einen gravierenden Verstoß gegen den Nichtverbreitungsvertrag (Non-Proliferation-Treaty, NPT) darstelle, dieser aber für Israel gar kein völkerrechtlicher Bezugspunkt in der eigenen Argumentation sein könne: „Israel kann sich darauf […] nicht berufen, denn [der Staat] ist keine Vertragspartei des NPT.“ Dem ist hinzuzufügen, dass zivil genutzte Nuklearanlagen unter besonderem völkerrechtlichem Schutz stehen. Hierauf hat am 13. Juni auch der Generaldirektor der IAEO Rafael Grossi mit Nachdruck vor dem VN-Sicherheitsrat verwiesen. Insofern bleibt völkerrechtlich die Verletzung der Souveränität eines Mitgliedsstaates der Vereinten Nationen. Moralische und politische Argumente können Erklärungen für das israelische Handeln liefern, kaum aber die belastbare Berufung auf völkerrechtliche Grundlagen. Mangels expliziter Verurteilung dieses Vorgehens könnten hinkünftige diplomatische Bemühungen westlicher Staaten nachhaltig geschwächt werden und eine weitere Verschiebung weg von Diplomatie und Multilateralismus, hin zu einer Politik des Stärkeren stattfinden.
- Das iranische Regime ist regional gerade außergewöhnlich stark isoliert: Ein entscheidender Militärschlag gegen den Iran wurde in Israel über viele Jahre geplant und wohl auch wiederholt ernsthaft erwogen. Nie aber war das Regime in Teheran regional dermaßen isoliert wie in den vergangenen Wochen und Monaten: der enge Verbündete Bashar Al-Assad wurde in Syrien gestürzt, die Hisbollah erheblich geschwächt, Hamas in ihren militärischen Kapazitäten weitgehend gebrochen. Insofern ist das Risiko eines breiten, zeitgleichen Gegenschlages des Iran, gemeinsam mit seinen Stellvertretern, begrenzt und kalkulierbar. Die Geschichte zeigt dabei: dieses Zeitfenster militärischer Schwäche iranischer Verbündeter kann sich auch wieder schließen. Die libanesische Hisbollah etwa fand nach dem Sommerkrieg 2006 in kurzer Zeit zu alter Stärke zurück. Politisch und militärisch führte schon bald wieder kein Weg an ihr vorbei. In der Tat ist mangels einer politischen Lösung im israelisch-palästinensischen Konflikt wie auch im breiteren Nahost-Konflikt ein abermaliges militärisches Erstarken von Israels Gegnern, allenfalls in veränderten Formen, auch diesmal zu erwarten. Damit könnte die iranische Position mittelfristig auch wieder gestärkt werden. Insofern scheint die derzeitige Situation für einen Präventivschlag für Israel wohl besonders geeignet.
- Trumps America-First-Politik erweitert israelische Handlungsspielräume in der Region: Mit der abermaligen Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten hat ein besonders enger Verbündeter Netanjahus im Oval Office Platz genommen. Außenpolitisch verfolgt er, anders als all seine Vorgänger (inklusive ihm selbst, während seiner ersten Amtszeit) eine eher isolationistische Politik. War ein direktes Intervenieren Israels im Iran für Joe Biden wohl noch eine rote Linie, so ist diese unter Trump weniger eindeutig. Auch wenn der Angriff als eine Torpedierung der US-amerikanischen Gespräche über ein neues Nuklearabkommen mit dem Iran in Muskat gewertet werden muss, ist durch den US-amerikanischen Rückzug aus der Region und eine Verlagerung strategischer Interessen in den Indo-Pazifik eine gewisse Gleichgültigkeit, jedenfalls eine Depriorisierung der US-Administration zu bemerken. Zugleich stellt Präsident Trump internationales Recht wiederholt selbst in Frage – sei es bezüglich Grönland, Kanada, Panama oder Gaza. Das erhöht Israels Handlungsspielraum.
- Ein weiterer Krieg lenkt von Gaza ab: Die humanitäre Situation in Gaza ist äußerst prekär, mit mehr als 55 000 Todesopfern und einer hungernden Zivilbevölkerung. Israel sieht sich mit dem Vorwurf schwerer Kriegsverbrechen konfrontiert. Der internationale Druck – auch seitens enger Verbündeter Israels – ist in den vergangenen Wochen erheblich angestiegen. Die internationale Isolierung Israels ist groß wie seit Jahrzehnten nicht. Die Eröffnung einer weiteren Front lenkt dabei ab, denn die israelische Sorge um eine nukleare Bewaffnung des Iran wird von vielen Staaten geteilt. Der Angriff könnte insofern – zumindest implizit – auch ein Versuch sein der eigenen Isolation gegenzusteuern.
- Netanjahu folgt auch einem innenpolitischen und persönlichen Kalkül: Einmal mehr stand Premierminister Netanjahu vergangene Woche mit seiner in Teilen rechtsextremen Koalition mit dem Rücken zur Wand. Streitpunkt war diesmal die Verpflichtung strengreligiöser Juden zum Wehrdienst. Seine beiden ultraorthodoxen Koalitionspartner drohten daraufhin die Koalition zu sprengen. Netanjahu konnte dies gerade noch abwenden – auch unter Verweis auf die aktuelle Bedrohung durch den Iran. Darüber hinaus gibt es einen Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs gegen Netanjahu und seinen früheren Verteidigungsminister Yoav Galant. Auch in Israel selbst sieht sich der Regierungschef juristisch mit einem Korruptionsprozess konfrontiert. Netanjahu ist also persönlich erheblich in Bedrängnis. Externe Konflikte und Kriege hatten, ungeachtet erheblicher politischer Divergenzen, immer schon ein einendes Momentum. Das könnte Netanjahu, zumindest kurzfristig, zugutekommen.
- Iranische Proteste schwächen das Regime in Teheran erheblich: Schließlich ist das iranische Regime spätestens seit den Protesten nach der Ermordung von Jina Mahsa Amini auch innenpolitisch unter Druck. Eine neue, junge urbane Generation fühlt sich von den autoritären Machthabern in Teheran immer weniger repräsentiert. Gleiches gilt für ethnopolitische Minderheiten im Iran. Der gesellschaftliche Widerstand und damit das Potential für Destabilisierung von innen, ist erheblich. Diese Verfasstheit schürt in Jerusalem Hoffnungen, dass durch zusätzlichen militärischen Druck von außen ein Regimewechsel herbeigeführt werden könnte. Dazu passt, dass sich Netanjahu nach dem Angriff in einer Videobotschaft mit seinen Worten direkt an das „stolze iranische Volk“ wendete und dieses zum Widerstand aufforderte. Ob diese Wette aufgeht oder aber ob der Angriff von außen den Rückhalt des iranischen Regimes von innen eher stärken wird, bleibt abzuwarten.
Vor dem Hintergrund dieser Gemengelage ist die internationale Staatengemeinschaft gut beraten mit allen Mitteln deeskalierend auf beide Kriegsparteien einzuwirken. Der iranische Außenminister Abbas Araghchi hat einen möglichen Waffenstillstand bereits in Aussicht gestellt, wenn umgekehrt auch die israelischen Angriffe enden. Darauf sollten die Europäische Union und ihre Mitgliedsstaaten, insbesondere Frankreich und Deutschland drängen. Auch Österreich könnte als traditioneller Ort für internationale Gespräche dabei gute Dienste leisten. Jetzt ist der Moment für intensive Friedensmediation, im Interesse der iranischen, israelischen und palästinensischen Zivilbevölkerung. Das wäre auch im Sinne eines glaubwürdigen europäischen Einsatzes für die Aufrechterhaltung von Multilateralismus und internationaler Ordnung.

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