Kairo. Im vergangenen Jahr wurden zigtausende Waffen über die lybisch-ägyptische Grenze geschmuggelt. Das bekommt man im Land am Nil regelmäßig zu hören. Fast täglich untermalt das Knattern von Maschinengewehren mein leidenschaftliches Backgammon Spiel im ahwa – einem der unzähligen Straßencafés in einem Vorort von Kairo. Zumeist sind die Schützen arbeitslose Jugendliche, welche zum bloßen Zeitvertreib in die Luft schießen. Manchmal sind es Männer, welche in Anbetracht der plötzlich so starken Präsenz von Waffen in der ägyptischen Gesellschaft vor der Nachbarschaft und in der Hoffnung auf Abschreckung potentieller Einbrecher Stärke demonstrieren wollen. Gelegentlich ist es mit den Schüssen auch todernst gemeint. Alleine im vergangenen Jahr kamen in meiner Nachbarschaft zehn Männer bei Schießereien ums Leben.
Die politische und soziale Lage in Ägypten hat sich besonders in den ärmeren Gegenden des Landes in den vergangenen Wochen weiter verschärft. Offen sprechen viele Menschen über ihre Frustration über die politischen Entwicklungen seit der Revolution. Hier gibt es viele enttäuschte Hoffnungen und Träume von einem besseren Leben verblassen im dichten Rauch der Wasserpfeifen. Lebensmittel- und Treibstoffpreise explodieren, Journalisten werden verhaftet und politische Hetze durch Hassreden betrieben. Immer öfter manifestieren sich die Frustrationen der Menschen im Ausbruch von physischer Gewalt.
Jüngster Gegenstand für erzürnte Debatten im ahwa ist der Mord an einem Minibus Fahrgast auf der nahe gelegenen Pyramidenstraße. Offenbar konnte sich ein Herr mit einem Fahrer nicht über den zu entrichtenden Fahrpreis einig werden. Ersterer war davon überzeugt, dass 75 Piaster (neun Euro-Cent) der angemessene Preis für die von ihm in Anspruch genommene Dienstleistung war, während der Fahrer auf die Entrichtung der Bezahlung von einem Pfund (also drei Euro-Cent mehr) beharrte. Schnell eskalierte die scheinbar harmlose Verhandlung über den Fahrpreis. Es kam zum Handgemenge, der aufgebrachte Fahrer zückte ein Messer und stach auf den hilflosen Passagier ein. Dieser verstarb noch an Ort und Stelle. Das Gefühl, dass in diesem Fall ein Menschenleben keine 25 Piaster wert war, erzeugt in vielen Menschen ein Gefühl der Unsicherheit, welches sich rasend schnell in Ägyptens Hauptstadt verbreitet. Die Wahrscheinlichkeit bei einem Schusswechsel oder einer Messerstecherei ums Leben zu kommen bleibt in der rund 20 Millionen Einwohner zählenden Metropole relativ gering. Dennoch dominiert der Diskurs um Sicherheit fast alle Bereiche des täglichen Lebens – für die sonst so entspannten Bewohner Kairos eine völlig neue Situation. Paradoxer Weise scheint dabei klar zu sein: Je mehr die Menschen über Sicherheit sprechen und gelegentlich zum vermeintlichen Schutz ihrer Familien in die Luft schießen, desto mehr Unsicherheiten werden in der Gesellschaft produziert. Ein Teufelskreis.
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